Autismus hat etwas faszinierendes. Die genaue Bedeutung des Wortes bleibt mir allerdings noch so verschlossen wie der emotionale Sandkasten einer Frau. Fernsehen bildet allerdings, so bekommt man doch auf diversen Nachtprogrammen den einen oder anderen Vorzeigeautisten zu sehen. Soweit zur Theorie.
Gemeinhin, seit ich in dieser Stadt aufwuchs, galten sie als die 'Stadtoriginale'. Man kann sagen, dass sich darin die Steigerung des 'Dorfdeppen' manifestiert. Davon gab es so einige. Man schloss sie nicht weg, man traf sie immer wieder an, am Hauptbahnhof, im Tram, in dunklen Unterführungen..
Da gab es z.B. den Besenmann. Er wischte gerne an den unmöglichsten Stellen im Hauptbahnhof, und wehe, man penetrierte seinen Aktionsradius von zwei Armlängen. Dann bekam er einen cholerischen Anfall und unverständliche, wütende Schreilaute quollen hinter seinem Gesichtsgebüsch hervor. Es soll hier nicht im Detail erwähnt werden, was wir an langweiligen Pfadfindersamstagen beim Herumlungern im Hauptbahnhof besonders gerne taten.
Oder da gab es Merlin, der sich selbst so nannte, meist spitze Schuhe trug und gerne im Tram Zwiegespräche zwischen Gott und Teufel einem interessierten Publikum vortrug. Oder den Eckenmann, der immer in 90 Grad um virtuelle Ecken herumlief...
Da stehe ich also mit M. an der Tramhaltestation. Laute, hastige Wortkonstruktionen dringen an mein Ohr. Mein geschulter Blick erkennt ein mir bisher unbekanntes Stadtoriginal. Kahler Kopf, mit Ausnahme der grauen Professorensträhnen, die etwa bis zur Schulter reichen. Gut angezogen, Kravatte, schwarz-lederne Aktenmappe. Er steigt in die S-Bahn ein. Ich sehe M. an. M. sieht mich an. Ja. Lass es uns tun! Spontan wie sie ist, besorgt sie sich ein Kurzstreckenticket, wir setzen uns unauffällig in die nächste Sitzreihe. Ich bemühe mich etwas um Zündstoff und fluche vor mich hin. Das Wundermittel schlechthin, damals, beim Besenmann. Nichts. Keine Reaktion. Die Kurzstreckenlizenz erlaubt eine Fahrt bis zum Botanischen Garten, die Zeit, die uns bleibt, ist knapp. Ich ziehe Fratzen. Gebe leise Elchgeräusche von mir. Nichts.
Wie es Gottes Ungerechtigkeit so will, legt unser Forschungsobjekt in dem Moment los, in dem die Bahn vor dem Botanischen beginnt, abzubremsen.
"Verkehrstafeln, Verbotstafeln, Anzeigetafeln, Informationsta..."
Geringe Ausbeute. Im Subtropenhaus des Botanischen ist zudem der Mimosenbaum nicht zu finden, der während langer Jahre als chlorophyllhaltiger Prügelknabe meiner neurotischen Kindheit diente. Welch gottverdammte Tafelscheisse.
Sonntag, 4. März 2007
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen